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  • Psychotherapie und Neuropsychologie

    [Poliomyelitis]

    Poliomyelitis anterior acuta oder spinale Kinderlähmung, wie diese Krankheit auch genannt wurde, ist eine akut auftretende Viruserkrankung, die in der westlichen Welt etwa bis in die frühen 60er Jahre verbreitet war.

Psychotherapie und Neuropsychologie

Bei akuter Poliomyelitis in der frühen Kindheit fehlt in der Regel eine Erinnerung an das Leben „davor“. Das Selbst-Konzept der Betroffenen beinhaltet die Behinderung, die bislang häufig gar nicht als solche empfunden wurde. Das gesamte private und berufliche Leben war darauf ausgerichtet, in einer Welt von Gesunden reibungslos zu funktionieren. Doppelrollen in Familie und Beruf wurden selbstverständlich angenommen. Die frühe Erfahrung, dass durch unermüdlichen Einsatz körperliche Schwächen auszugleichen sind, führte zu einer positiv bewerteten hohen Leistungsbereitschaft. Negativ bewertet wurden hingegen Nicht-Mithalten-Können oder Einforderung von Rücksichtnahme.

Viele Betroffene konnten sich bei hohem Leistungsniveau so eine gute Selbst-Akzeptanz aufbauen. Bei akuter Polio-Erkrankung im Jugend - oder Erwachsenenalter wurden bereits einmal im Leben traumatisierende Erfahrungen in Bezug auf Verlust von persönlichen Fähigkeiten gemacht. Die Krankheit galt jedoch als „überwindbar“, ein neues Selbst- Konzept mit einer oft deutlich empfundenen Behinderung musste entwickelt werden. Auch hier führte die Erfahrung „ich kann das, wenn ich mich nur genug anstrenge (genug übe, länger arbeite etc.)“ zu positiver Einstellung gegenüber Leistung und Anstrengung. Polio-Betroffene ohne Post-Polio-Syndrom klagen in der Regel nicht über psychische Probleme. Durch das Post-Polio-Syndrom erlebt sich der Betroffene nun in einer hilflosen Situation: schleichend und scheinbar unerklärlich verschlechtert sich seine Leistungsfähigkeit, sein Grundsatz „Anstrengung lohnt sich“ kehrt sich ins Gegenteil um. Die neuen Erfahrungen erlauben keine positive Selbstbewertung und führen zu einer Inkongruenz zwischen dem Selbst-Konzept und aktuellen Erfahrungen. In der Folge können psychische Störungen entstehen.

Grundsätzlich gilt es auch beim Post-Polio-Syndrom zunächst durch Untersuchung und Information die Probleme und neuen Symptome zu objektivieren und bewusst zu machen. In einem oft schwierigen und langwierigen zweiten Schritt soll eine Akzeptanz der neuen (und sich immer wieder verändernden) Situation erreicht werden. Dies steht häufig im Widerspruch zu den bisherigen persönlichen Lebenserfahrungen, verlangen aber auch vom Umfeld in Familie und Beruf ein Umdenken.

Das Ziel ist schließlich eine Adaptation an die neuen Bedingungen, was i.d.R. eine Einbuße an Aktivität bedeutet. Der Betroffene muss sich einen Selbstwert erarbeiten, der unabhängig von der körperlichen Leistungsfähigkeit ist. Im Kampf um den eigenen Selbstwert sind Fehleinschätzungen durch Dritte als „Simulant“ oder „Drückeberger“ verheerend. Neben einer stützenden Psychotherapie ist hier vor allem der Austausch mit gleichermaßen Betroffenen im Sinne der Selbsthilfegruppen wichtig. Das Ausmaß der psychischen Belastung durch das Post-Polio-Syndrom wird im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen (wie z. B. Rheuma) bisher sicherlich unterschätzt.

Bundesverband Poliomyelitis e.V.

  • Interessengemeinschaft von Personen mit Kinderlähmung
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